Donnerstag, 30. April 2015

Vor mir die Sinnflut - Erinnerungen an ein Biotop (Gastbeitrag von Wolfgang)

Ein toller Beitrag nach dem anderen kommt hier an, diesmal von Wolfgang! Danke!

Angekommen bin ich mit 17. Im Sommer 1979.
Mein älterer Bruder hatte mir ein Zimmer bei Bekannten zur Untermiete klargemacht.
Meine Eltern waren beruhigt. Ich fand´s scheiße.
Aber erstmal weg sein. 50 Kilometer weit weg. Von Wunsiedel.
Sinn und Zweck der Geschichte: Fachoberschulabschluß.
Das war die offizielle Version.

Eigentlich wollte ich mich nur treiben lassen. In der Stadt.
Habe ich dann auch getan. Mit Wonne.

Nach 2 Monaten hatte ich endlich die Möglichkeit eine eigene Wohnung zu haben. In der Inselstraße, hinter dem Knast. 2 Zimmer, keine Heizung aber möbliert  mit einer Matratze einem Tisch und 2 großen Schränken (in einem waren erstaunlich viele Autoradios untergebracht - einer der Vormieter musste anscheinend ein fanatischer Sammler gewesen sein). Ich habe mich nicht groß darum gekümmert und irgendwann waren sie dann auch mal weg). In der Küche standen noch große Erdnussbutterbecher aus dem PX-Laden herum. Meine erste Erdnussbuttererfahrung. Danach schnell die Anlage aufgebaut, die Matratze mit Mutters Spannbetttuch bezogen und in die Stadt gegangen.

WIR 1981-02
Ich war selten in meiner neuen Wohnung. Viel lieber war ich nach Besuch der FOS unterwegs: erstmal im Café, später JuZ, Pritscherprackl, Holzwurm... in unterschiedlichen Reihenfolgen. Eine kleine Stadt bündelt Individualisten, deswegen war das Kennenlernen neuer, gleichgesinnter Menschen nicht schwer. Ich weiß nicht mehr wo, wann und wie ich  Thomas Steiner und Thomas Böhm kennen gelernt hatte, jedenfalls fand ich mich im Frühling 1980 im Redaktionsraum der „WIR“ wieder, und klebte mit Fixogum schreibmaschinengetippte Papierschnipsel auf Pergamentpapier um die Druckvorlagen zu erstellen. Oldschool Desktop Publishing.

Impressum WIR 1981-02
5 Ausgaben habe ich mitgemacht, Titelseiten gestaltet, mich in Cartoons versucht und Weißräume zugekritzelt. Die letzte Nummer (2/81) haben Thomas Steiner und ich anscheinend fast alleine gemacht (man beachte die zickige Bemerkung im Impressum: „Lay-Out: Wolfgang Seiß, Thomas Steiner 22 ½  Seiten. Hof: 1 ½  Seiten“). Dank der dünnen Personaldecke konnten wir aber auch deswegen ohne große Diskussionen Isabelle Huppert auf das Titelblatt hieven, die uns beim Besuch der Hofer Filmtage in Claude Gorettas Fim „Die Spitzenklöpplerin“ zu Tränen gerührt hatte.

Ich schloss die Wohnung in der Inselstraße kaum ab. Nie ist etwas weggekommen (mal abgesehen von den Autoradios). Manchmal, wenn ich nachts nach Hause kam, waren Leute da, die ich noch nicht kannte. Egal – die Wohnung war groß genug.

10 Erinnerungen an diese Zeit:

  • Der Stand der DKP vor dem Hertie
  • Der alte Flipper im Pritscherprackl
  • Von einem Zivilbullen anlässlich einer Demo zur öffentlichen Vereidigung gepflegt eins auf die Schnauze zu bekommen.
  • Das DAF Konzert im alten Bahnhof in Hof
  • Buñuels „Würgeengel“ auf 16mm im JuZ
  • meine Rockpalast Party anlässlich des ZZ Top Konzerts in der ARD mit meinem kleinen s/w Hitachi Fernseher, vielen Menschen und viel zu viel Drogen.
  • Die erste Bekanntschaft mit einem Korg Ms 20
  • Die nagelneue Platte der Lounge Lizards zusammen mit Thomas Steiner zu hören.
  • Wichtig sein zu können
  • Unwichtig sein zu können

Im Herbst 1982 war meine Zeit im warmen Becken vorbei.: Zivildienst. Das Leben mit und in der Gesellschaft  begann.



Stefan:
Aaah, die Lounge Lizards! Mit John Lurie am Sax, nicht wahr? Diesen Bandnamen (& die zugehörige Musik) habe ich seit Jahrzehnten nicht mehr gehört. Weiß noch, wie groß (-artig) das war. Mein DAF-Erlebnis war übrigens in Weisenohe (altes Kino), das war das Schlüsselerlebnis schlechthin und die definitive Zeitenwende. Im Alten Bahnhof in Hof war ich, waren wir (beide) oft. Danke für diesen Vergangenheitsflash-Text.

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