Montag, 27. April 2015

Die Bedeutung des Offenen JZ-Bayreuth 1976/77 (Gastbeitrag von Edwin)

Ein weiterer Gastbeitrag von Edwin - Hintergrundinformationen und neue Dokumente, Danke!

Die Bedeutung des Offenen JZ-Bayreuth 1976/77 - Ort der Kommunikation, Koordination und Unterstützung der JZ-Bewegung Oberfrankens - im Spiegel subjektiven Erlebens


Das JZ Bayreuth hab ich als einen sozialen Mikrokosmos weitgehend ähnlicher Bedürfnisse erlebt. Dennoch hatte die individuelle Verschiedenheit ihren selbstverständlichen Platz. Das JZ war ein Kulturort einer offenen Gedankenwelt, Kontaktort für fremde Menschen und Veranstaltungszentrum. Das JZ war Bühne für die freie Jugendzeitung WIR: Ihre Redakteure kreierten eine selbstbewusste Gegenöffentlichkeit die man – zwar klein und bescheiden  - der kommunalen Berichterstattung polar gegenüberstellen konnte, ja musste! Das JZ sorgte so auch für alternativpolitische Präsenz und entsprechende Erfahrungen in Bayreuth. Auch eine gewisse Cliquenstruktur erlebte das JZ - trotz aller Offenheit der Besucher - die Jugendlichen mit höherer Bildung dominierten. Cliquenstrukturen wurden jedoch auch von außen erzeugt, wenn das JZ Ort des Zusammenhalts wurde, zum Beispiel bei Stigmatisierung durch Nachbarn des Jugendzentrums, die zu Unrecht in ihren wilden Phantasien diesen heiligen Ort in einen Ort von Drogen und Gesellchaft-gefährdender Gesinnung verwandelten. So schickten die Nachbarn ohne Not - in meiner einjährigen Praktikumszeit - ein paar Mal die Polizei, damit diese nach dem rechten sah. Aber sie fanden nichts anstößiges

Das Bayreuther JZ war eine ungeliebte Einrichtung für die Jugendpflege. Diese hatte andere Vorstellungen von einem kommunal geförderten Jugendzentrum für die Jugend. Den JZ-Akteuren des offenen und selbstverwalteten Jugendzentrums war das egal, denn es war klar, dass sie nicht im Sinne der Stadtjugendlichen lebten und handelten. Sie konnten und wollten das von der Stadt ab1977 geplante kommunale JZ nicht ersetzen, da mit ihm ein anderer Teil der Jugend und ein anderes Lebensgefühl verankert werden sollte.

Für harte, aber erfolgreiche Auseinandersetzungen mit der Stadt stand dem Verein ihr politisch versierter Vorsitzender zur Seite. Dies reichte, gelegentliche Konflikte letztlich erfolgreich zu gestalten (siehe Dokumentation Geschichte des JuZet)). Eine Vereinsgründung war auch bundesweit lange Jahre ein Erfolgsmodell und wichtiges Element im Kampf für die Entstehung und  Absicherung von selbstverwalteten  JZs, als Motor gegen städtische Ablehnung und Ignoranz und für die Integration der unterschiedlichen alternativen Gesinnungen.

So hatte des Bayreuter JZ unbestritten eine sehr hohe Bedeutung für die „alternativen“Jugendlichen der Stadt Bayreuth, aber auch für alle gegenkulturellen Vertreter anderer JZs und Inis im Umland Oberfrankens (siehe Beitrag Artur)

Die unschätzbare Bedeutung der freien Jugendzeitung WIR damals für die Unterstützung der Akteure in JZ und JZ-Inis in Oberfranken ist heute natürlich leichter zu erkennen. Damals inmitten des leidenschaftlichen Lebensgefühls und Aufbruchs, war es nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit, Einzelkämpfer in oberfränkischen JZs miteinander zu vernetzen und damit zu unterstützen. Andrea´s Gastbeitrag  hat dies wunderbar beschrieben.

Die EIBA (heute EJSA) wurde zum notwendigen Organisationsmoment mit Feuerwehrfunktion für Hilfesuchende JZ und Inis. Dabei griffen die Unterstützung der EIBA und der WIR ineinander. Darüber hinaus wurden auch die Studenten-Praktikanten der EIBA, die ihr praktisches Studienjahr im Rahmen des Sozialarbeiterstudiums absolvierten und in den JZs eingesetzt waren, zu temporären Akteuren und Unterstützern der Jugendzentrumsszene in Oberfranken (wie viel Jahre weiß ich nicht).

Bundesweit gibt es ab Anfang 1976 die ersten Versuche, über eine regionale Organisierung der JZ-Bewegung ihre politische Substanz zu verbessern und einen kontinuierlichen Arbeits- und Informationsaustausch aufzubauen. Februar 1977 ist es auch in Oberfranken soweit - nach dem Muster des bundesweit agierenden Koordinationsbüros für Initiativgruppen der Jugendzentrumsbewegung in Hagen – wird ein Koordinationsbüro gegründet.



Die Möglichkeit regionalen JZ-Entwicklungen unter die Arme zu greifen war damit noch besser gegeben, die Mittel zur Umsetzung jedoch bescheiden: Vervielfältigungsverfahren mit Wachsmatrize und postalisches Verschicken kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.
Dennoch: Das oberfränkische Koordinationsbüro in Bayreuth war gut geeignet, zu bestimmten Themen Vortragsreisen durch die oberfränkischen JZs zu organisieren. So folgten – in dem Jahr 1976/77 zum Beispiel Vortragsreisen von einem Sozialarbeiter aus Venezuela, der über die sozialen Struktur-Probleme seines Landes berichtete und von einem von Berufsverbot Betroffener Lehrer aus Bayern.

Neben dem offenen JZ in Bayreuth gab es - soweit ich es für meine aktive JZ-Zeit 1976/77 einschätzen kann - in ganz Oberfranken kein anderes, dass ähnlich in der Lage gewesen wäre, Anker für andere JZs zu sein, wie es das offene und selbstverwaltete JZ Bayreuth war.

Fazit: 
Das Offene JZ Bayreuth (1974-1982 ) diente als fabelhafter Katalysator für den Aufbruch des gegenkulturellen Protests in Bayreuth. Die Jugendzeitschrift WIR mit ihren Unterstützern und Redakteuren war substantieller Bestandteil des Offenen JZs, Unikat und Sprachrohr für (andernfalls nicht veröffentlichbare) Meinungen. Mithilfe der EIBA und auch der Gründung eines Koordinationsbüros für Jugendzentren und Initiativen befand sich das offene JZ im Trend der bundesdeutschen Jugendzentrumsbewegung, jenseits von Provinzialität.

Nachrede:
Man legt in Deutschland 3 Phasen der Jugendzentrumsbewegung zugrunde (Phase I 1970-1975; Phase II 1975-1980; Phase III ab 1980).
Die Veröffentlichungen zur Jugendzentrumsbewegung dokumentieren im Verlauf der 70-ger Jahre ein rasant sich veränderndes Verständnis politischer Einflussnahme: Beinhalteten die Veröffentlichungen zur Jugendarbeit um 1970 noch antikapitalistische Zielstellungen und eine klar politische Zentrierung, so wurden die Ziele Mitte bis Ende der 70-ger Jahre von erfahrungsbezogenen, emanzipatorischen Zielstellungen abgelöst und wesentlich genügsamer.

Das Buch „Träume Hoffnungen, Kämpfe“ wurde in der Hochzeit der Jugendzentrumsbewegung zu dem „Lesebuch“ für JZ-Interessierte, es wird 1977 von  Herrenknecht / Hätscher/ Koospal veröffentlicht und beschreibt das Aufbegehren rund um die Jugendzentrumsbewegung.

…. Akteure und Unterstützer des Offenen JZ Bayreuth wurden älter und gingen schließlich: zum Studium oder zur Ausbildung. Konnten so ihr gewonnenes Potential in neuen Wirkungsbereichen freisetzen - wurden z.B. Geburtshelfer neu gegründeter Bürger-Initiativen. Gratulation!



Martin:
Ganz großartige Zusammenfassung. Danke Edwin. Ich hoffe, wir sehen uns am Samstag!

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