Donnerstag, 2. April 2015

Die Grenze des Machbaren

Für meine Kinder unvorstellbar oder längst aus deren Erinnerung verschwunden, hat sie unser aller Leben in und um das Bayreuther Offene Jugendzentrum herum sehr direkt, aber auch sehr subtil beeinflusst: die Mauer, die Zonengrenze, die Staatsgrenze zur DDR (in BILD-Schreibweise: „DDR“), die deutsch-deutsche Grenze oder der anti-imperialistische Schutzwall – je nach Sichtweise. Irgendwie war die Grenze immer präsent, vor allem auch in unseren Köpfen, so oder so, nur in der Wetterkarte der Tagesschau, da gab es keine Grenze.

Zieht man einen Kreis um Bayreuth mit 50 km Radius, dann war damals fast die Hälfte seines Umfangs Grenze zum „Ostblock“. Zonenrandförderung war angesagt - und militärische Präsenz. Die GIs, die amerikanischen Soldaten der Christensen Barracks in Bindlach, waren normaler Teil des Bayreuther Nachtlebens. Manche Discotheken wurden regelmäßig von der recht martialisch aussehenden „Military Police“ (MP) kontrolliert.

Die Spitze des Schneebergs im Fichtelgebirge war militärisches Sperrgebiet, der ehemalige amerikanische Abhörturm ein weithin sichtbares Zeichen für den andauernden Kampf zweier politischer und militärischer Systeme.

Rudolphstein/Hirschberg, der schwer gesicherte Grenzübergang bei Hof, hässlich und unfreundlich, war der Startpunkt jeder öden, grauen 3-Stunden-Fahrt durch die DDR nach Berlin. Die Raststätten dazwischen waren skurrile deutsch-deutsche Treffpunkte, in denen man sich einen Broiler oder eine Soljanka einverleiben konnte zu aus westlicher Sicht merkwürdigen Preisen wie 2,14 M – wir kannten eher Preise wie 4,98 DM. Die Stimmung in diesen Raststätten, in denen die einen Deutschen neben den anderen Deutschen saßen, war surreal, die Intershops wie aus einer anderen Welt.

Diese unwirkliche Stimmung fiel erst von einem ab, nachdem man in Berlin den Grenzübergang Dreilinden/Drewitz hinter sich gebracht hatte. Das damals daraus für Berlin resultierende fast heimelige Insel- und Heile-Welt-Gefühl ist heute nicht mehr reproduzierbar.

Die Geschichte hat viele Hoffnungen von damals enttäuscht oder eines Besseren belehrt. Die Menschen wollten das System dort einfach nicht. Oder das System wollte die Menschen nicht. Oder das System konnte sich den Menschen nicht mehr schnell genug anpassen. Vielleicht war es auch einfach der Wunsch nach freier Bewegung und weniger Beobachtung. Auf jeden Fall hat es nicht funktioniert und ist vollends gescheitert.

Auch ein selbstverwaltetes, offenes Jugendzentrum hätte es „drüben“ so nicht geben können, das war einfach undenkbar. Hier war die deutsche-deutsche Grenze auch eine Grenze des Machbaren. Dieser exklusive Luxus war uns im Westen vorbehalten. Natürlich gab es das Juzet nicht geschenkt, es musste hart vom Verein, den Unterstützern und den Aktiven gegen viele Widerstände erkämpft und immer wieder verteidigt werden.

Aber dass es in Bayreuth möglich war, sich so einen wunderbaren, freien Abenteuerspielplatz demokratisch zu „erobern“, dafür darf man der Gesellschaft, der Stadt Bayreuth und ihrer Kommunalpolitik rückblickend auch einfach mal Danke sagen, oder? Und ohne den Widerstand der "konservativen Spießer" hätte es doch auch viel weniger Spaß gemacht ;-)


>>> US Army Installations - Grafenwöhr (u.a. die Christensen Barracks, Bindlach)

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