Mittwoch, 8. April 2015

Griechenland, das Sommerferien-Indien (Gastbeitrag von Stefan)

Hallo Christian,

anbei ein neuer Beitrag von mir für dein JuZet-Blog (mit zwei Fotos, 1979 und 1982), passend zum heutigen schönen Wetter (blauer Himmel, zumindest hier in Bamberg):

Griechenland, das Sommerferien-Indien

Keine blaue Stunde, dafür blauer Himmel und ebensolches Meer:
Obwohl ich mir schon vor einiger Zeit (ziemlich) fest vorgenommen hatte, etwas über die legendäre Teestube im Obergeschoß des Offenen Jugendzentrums Bayreuth zu schreiben, und ich dies auch blogintern Christian gegenüber nicht nur einmal angekündigt hatte, zündet es in mir schreibtechnisch bis dato immer noch nicht so recht.

Also verschiebe ich die „Blaue Stunde“ (so der Name einer damals sehr beliebten Teemischung) ein weiteres Mal auf den Tag, der dem heiligen Nimmerlein gewidmet ist, und widme mich meinerseits erst einmal Griechenland, inspiriert von Christians Blog-Beitrag „Indien“ vom 25. Januar 2015: „Indien - magischer Klang, Eines der wertvollsten und angesagtesten Ziele, welches man damals als "Freak" per Anhalter oder im umgebauten Bus erreichen konnte.“

Kurzerhand die Begriffe „Indien“ und „umgebauter Bus“ durch „Griechenland“ und „billiges Eisenbahnticket“ ersetzt, und schon passt der Satz prima für die alljährliche Augustplanung von so manchem Langhaarteenager aus dem Mit-bis-End-1970er-Jugendzentrumsumfeld.

Die Beliebtheit dieses Reiseziels speiste sich aus mehreren Aspekten:

  • Ein Griechenland-Trip war sehr preisgünstig. Sofern er die Anreise per Anhalter nicht wagte (oder ihm dies von seinen Eltern schlicht verboten wurde), griff der junge Mensch dieser Zeit zu einem der sehr günstigen Quer-durch-Europa-Eisenbahntickets („Transalpino“, „Twen-Tours“ u. ä.), das ihm die Eltern gerne bezahlten (sofern er bloß nicht trampte). Die Übernachtungen in Griechenland waren nicht teuer, sie kosteten exakt 0,00 Drachmen (entsprach nach damaligem Umrechnungskurs genau 0,00 D-Mark), da man sein Zelt dort einfach irgendwo aufschlug bzw. angesichts der warmen Sommernächte einfach seinen Schlafsack unter freiem, beeindruckend stern- und sternschnuppenreichem Südhimmel am Strand der Ägäis ausrollte.
  • Griechenland galt als sehr (diebstahl-) sicher. Wir haben beispielsweise damals im August 1979 unsere Sachen (Ruck- und Schlafsäcke, Klamotten etc.) in einem Kiefernhain am Strand liegen lassen, um einen Ein-Tages-Kurztrip per Anhalter ohne beschwerliches Gepäck ins antike Olympia zu machen, und als wir am Abend wieder zurück waren, lagen die Sachen noch unversehrt da. Wir hatten auch nichts anderes erwartet.
  • Die Griechen galten als sehr gastfreundlich, und tatsächlich wurde man ständig von irgendwelchen Leuten zum Essen eingeladen, was den billigen Urlaub noch billiger machte (ich erinnere mich etwa  - es war mein zweiter Griechenland-Trip im Jahre 1980 -  an ein köstliches, nächtliches Mahl am Strand mit frisch gefangenem, gegrilltem Fisch, Salaten, Brot, Wein).
  • Es war ein schön weit entferntes Ziel, die Anreise (ob Bahn oder per Anhalter) dauerte Tage, man war in einer anderen Welt, lernte bereits unterwegs andere Welten und viele Leute kennen. Die Weite und Beschwerlichkeit der Anreise (welche die ganze Sache so richtig spannend und interessant machte) lässt sich aus dem beigefügten Foto von mir herauslesen, das mich Anfang August 1979 auf der Fähre von Brindisi/Italien nach Thessaloniki/Griechenland zeigt. Ich sehe nicht nur wg. Haar- und Bartgesichtszuwucherung deutlich älter als meine tatsächlichen 17 Lebensjahre aus, ich war auch total fertig nach Tagen in überfüllten Zügen durch Italien ohne Sitzplatz.
  • Dadurch, dass Griechenland im Sommer mit deutschen Rucksacktouristen (der mittlerweile in die deutsche Sprache eingegangene Begriff „Backpacker“ war damals noch gänzlich unbekannt) überschwemmt war, traf man ständig auf Gleichaltrige und Gleichsprachliche, mit denen man Routentipps, Erfahrungen etc. austauschen konnte, man half sich gegenseitig, wenn nötig. Einmal sind mir auf einer Dorfstraße irgendwo auf der Halbinsel Chalkidike ein paar Bayreuther entgegengekommen. Keiner von uns war wirklich überrascht, und wir haben uns unterhalten, als hätten wir uns nach der Schule zufällig am Bayreuther Marktbrunnen getroffen. Irgendwie war Griechenland ein einziges, großes, offenes Jugendzentrum unter weitem, blauen Himmel.

Um einen Griechenland-Trip antreten zu können, musste man sich vorher erst einmal eine Grundausstattung anschaffen:

  • Wichtigstes Utensil war der sogenannte Tramper-Rucksack. Der bestand üblicherweise aus einem Aluminiumtragegestell, an dem der eigentliche Rucksack befestigt war. Aluminium klingt leicht, mysteriöserweise war so ein Rucksack aber auch ohne Inhalt sauschwer. Die gepolsterten Trageriemen waren aus einem speziellen Polster gefertigt, das derart an den Schultern einschnürte, dass man von Polsterung (und vor Anstrengung) nicht sprechen konnte. Ein Meisterwerk der 1970er-Jahre-Rucksack-Hochtechnologie. Mein Rucksack war nicht rot oder blau oder gelb oder bunt, sondern eine Mischung aus Nato-Olivgrün und Kackbraun. Warum ich 1979 als 17-jähriger Pazifist und späterer (erfolgreicher) Wehrdienstverweigerer diese spezielle Farbgebung freiwillig beim Rucksackkauf im Bayreuther Sportgeschäft Giessübel gewählt habe, gehört zu den letzten noch ungelösten Rätseln der Menschheit. Unten am Rucksack war ein Alu-Rahmen zum Ausklappen angebracht, auf dem der Schlafsack und/oder das Einmannzelt festgeschnallt war.
  • Das Einmannzelt hieß damals Einmannzelt, ohne dass man von Frau Einwände gehört hätte (so links und gesellschaftskritisch wir auch waren, manche Begriffe wurden nicht hinterfragt) und obwohl nicht nur eine, sondern zwei Personen (Mann wie Frau) darin Platz gefunden hätten, wenn, ja wenn man/frau das Zelt aufgeschlagen hätte, was aufgrund der warmen, trockenen Nächte an den Stränden Griechenlands und des Umstands, dass das Sternenzelt nicht nur wesentlich größer und schöner war, sondern nicht erst umständlich aufgebaut werden musste, nicht nötig war, so dass man sich das Den-ganzen-Urlaub-hindurch-am-Rucksack-Herumschleppen dieses beschissenen Einmanndingens eigentlich komplett hätte schenken können, verdammt noch mal.
  • Mindestens so wichtig wie das Rucksackungetüm hinten war der Umhängebeutel bzw. (wie auf dem 1979er Foto von mir zu sehen) die Umhängelederbrieftasche vorne, in welchem/welcher sich Ausweis, Geld, Tickets befanden. Damit auch jeder sieht, dass man Ausweis, Tickets und Geld mit sich führt. Außerdem schnürt das Bändchen so schön am Hals ein (siehe auch: Trageriemen des Tramper-Rucksacks).
  • Äußerst wichtige Grundvoraussetzungen für juveniles Backpackertum waren darüberhinaus bleiche Haut und dünner, komplett unsportlicher Körper (im Gegensatz zum älteren Establishment-Touristen, der bleiche Haut mit Bierbauch kombinierte). Diese Voraussetzungen hatte ich idealtypisch erfüllt (siehe Foto) und, kaum, dass ich sonnig-warme Südeuropagefilde betreten hatte, der staunenden Öffentlichkeit dargeboten. Das Sich-im-Süden-Entblößen und dabei am besten hässliche Sandalen tragen ist ein deutsches Verhaltensmuster, das uns nicht nur in Griechenland seit jeher sehr beliebt macht (zumindest beliebter, als in Uniform und bewaffnet den Süden zu bereisen).
  • Ein weiterhin sehr wichtiges Utensil war auch die große Plastikflasche mit (stillem) Mineralwasser, die man sich kaufte, sobald südeuropäischer Boden betreten war, und die man stets bei sich zu führen hatte (lt. Vorgabe der Genfer Konvention). Dies war insofern exotisch, als damals in der Bundesrepublik Deutschland Mineralwasserflaschen nur aus Glas waren (Mehrweg mit der Prägung „Deutscher Brunnen“) und das Wasser mit Kohlensäure versetzt und „enteisent“ (*) war. Daher nannte man hierzulande Mineralwasser in der Regel auch Sprudel.

Mit so einer Ausrüstung konnte beim Griechenland-Trip eigentlich nichts schiefgehen, und wenn mal wieder alles schiefging, kam man doch wieder unversehrt nach Hause mit vielen, vielen Fotos (= ein 36-Bilder-Film, wovon man 23 im Urlaub verknipst hatte, so dass man Zuhause die restlichen 13 irgendwie verfotografieren musste, um den Film zum Entwickeln geben und eine Woche später kleine, aber teure Farbabzüge in den Händen halten zu können, die dann in ein Album geklebt wurden, wo sie über die Jahre erst Rotstich bekamen und dann ganz die Farben verloren: 1970er-Jahre-Filmchemie halt, siehe auch: 1970er-Jahre-Rucksacktechnologie).
Es war eine schöne Zeit.

Ein Foto-Hinweis:
Das zweite Foto, 1982, also drei Jahre nach der 1979er Griechenlandreise aufgenommen (ich war mittlerweile 20), habe ich nur beigefügt, weil ich in dem verstaubten Fotoalbum, in dem die
Griechenland-Bilder sind, über dieses Bild gestolpert bin und mich der Anblick meiner äußeren Veränderungen für einen Moment fasziniert hat, eine auch innere Veränderung, die wohl auch mit meinem Verhältnis zum Jugendzentrum und mit dessen Ende 1982 irgendetwas zu tun hat, aber das wäre ein Thema für einen anderen Textbeitrag … .







(*) Anmerkung des "Säzzers":

Ursprünglich stand hier "enteisend". Da sich dieser Blog dank des Hinweises zum "zigaretterauchenden Junghippie" mittlerweile auch mit der Komplexität der deutschen Sprache auseinandersetzt, soll hier erklärt werden, warum es korrekt "enteisent" heissen muss und warum vermutlich die meisten Leser, obwohl mit dem Wort "enteisent" seit vielen Jahren auf fast jeder Sprudelflasche konfrontiert, dieses Wort fehlinterpretieren:

Das Wort „enteisent“ ist das Partizip Perfekt des Verbs "enteisenen" (!), wird jedoch oft als Partizip Präsens Aktiv fehlinterpretiert; daraus ergibt sich dann die Fehldeutung, das Mineralwasser würde dem Körper „Eisen entziehen“. 
Das korrekte Partizip Präsens Aktiv des Verbs "enteisenen" würde allerdings „enteisenend“ heißen, so wie "enteisend" das Partizip Präsens Aktiv des Verbs "enteisen" ist (eine Scheibe enteisen).
Das Partizip Perfekt des Verbs "enteisenen" (Eisen entziehen), also "einteisent", bedeutet nichts anderes, als dass dem Mineralwasser das Eisen entzogen wurde.

vgl. auch "enteisen" (Eis entfernen), "enteisend", "enteist"




Hermien:
 "Der Säzzer"  ;-) Die guten Taz-Zeiten. Und ja, man traf sich wirklich überall. Ich weiß noch, dass Jürgen (...) und ich Michael (...) mitten in Athen trafen. Danke für die nostalgischen Gefühle!

Susanne:
Lieber Stefan, ein toller Beitrag, hab mich grad kaputt gelacht, köstlich

Birgit:
Juchu! Wieder ein schöner Text zum Tag versüßen!


Stefan:
Vielen Dank für die netten Feedbacks - und natürlich Dank an den aufmerksamen Säzzer :-)

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