Dienstag, 25. November 2014

Unverzichtbarer Lebensgefährte:
der Plattenspieler

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Damals zwischen 1974 und 1982 war ein Zimmer ohne Plattenspieler fast unvorstellbar. Sei es nun eine Plattenfräse oder ein High-End-Gerät, aber ohne ging jedenfalls gar nichts.

Die meisten Jugendlichen von heute werden mit den folgenden Begriffen nur wenig anfangen können: Kardanische Aufhängung des Radial-Tonarms, Federbalancierung, statisches oder dynamisches Anti-Skating, Justierung des Auflagegewichts, Abtastsysteme, Tangentialtonarm, Reibrad-, Riemen- oder Direktantrieb, Gleichlauf, Rumpelfaktor, Stroboskop, Plattentellergewicht, Synchron- oder Asynchronmotor, Nassabspielen, usw.  – damals gehörten diese Begriffe zum weitverbreiteten Vokabular für alle, die mitreden wollten, und wer wollte, der konnte sich allein mit einem Plattenspieler ein Universum von nie endenden Herausforderungen an die analoge Musikwiedergabe erschaffen.


Denn mit den aus diesen mechanischen Faktoren ableitbaren Einflüssen auf die Klangqualität, also die hohe technische Komplexität einer weitgehend reibungs- und spielfreien Lagerung, und die technisch feinsinnigen Maßnahmen zum Ausgleich von Verzerrungen durch zwangsläufige Spurfehlerwinkel  beim Radialtonarm, ergaben sich für den HiFi-Fanatiker zahllose Diskussions- und Glaubensfragen. Über die nachfolgende Entzerrung und Verstärkung des vom Tonabnehmer genommenen Signals durch den jeweils gewählten Verstärker kam dann nochmals eine unendliche Anzahl elektronisch-analoger Einflussfaktoren für den perfekten Klang dazu.

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Dual, Elac, Thorens, Kenwood, Lenco waren einige der Marken, an die ich mich erinnere. Im Jugendzentrum tat - glaube ich - irgendein Dual-Plattenspieler seinen Dienst.

Aus der Qualität des jeweils verwendeten Plattenspielers und der Exzentrik des Benutzers ergab sich fast zwangsläufig der individuelle Stil im Umgang mit den Platten selbst: Akribische Lagerung immer in der Hülle, elegante berührungsarme, fließende, feinmotorisch geschickte Entnahme der Platte aus der Hülle und sanftes Auflegen der Platte ohne Fingerabdrücke, gewissenhafte Reinigung mit einer Ziegenhaar-Bürste, feinfühliges, sensibles und Zen-inspiriertes, kultvoll zelebriertes Auflegen des Tonarms. Oder: grobschlächtiges Betatschen der Rillenfläche mit (fettigen) Fingern, „Aufwerfen“ der Platte auf den Teller, während die Asche von der Kippe auf die Rillen bröselt, und „Einpressen“ des Tonarms und Nadel in die Rillen (sofern beim ersten Mal der Anlaufbereich überhaupt getroffen wurde und die Nadel nicht den Plattenteller neben der Platte abtastete) und Ablage der Platten direkt aufeinander ohne Hüllen in einer Bierlache.

Aber auch bei bester Handhabung war jede Platte früher oder später ein Unikat, dank letztlich unvermeidbarer Kratzer (und wenn nicht eigene, dann immer ein paar mehr nach jedem Verleihen), und einem je nach Plattenspieler sich mit der Zeit verstärkendem Grundrauschen. Markante Kratzer wurden zwangsläufig integraler Bestandteil des Hörerlebnisses, vor deren Eintreffen man andere auf die Zehntelsekunde genau präzise warnen konnte. Ein Verspringen des Tonarms mit unfreiwilligem Rhythmuswechsel oder Eintreten in eine Endlosschleife, was manche massiven Kratzer mit sich brachten, konnten auch mal mit einem „Nachfräsen“ (Nadel, Rasierklinge, Messer, o.ä., siehe Video unten) behoben werden – allerdings oft zu Lasten eines dann deutlichen Kratzerschlags in den Boxen.



Weitere typische mechanische Einflussfaktoren des täglichen Lebens, die fast jeder Plattenliebhaber kennen wird, und über die unsere heutigen, immer identisch geklonten MP3-Digitalisate irgendwo in der Cloud nur noch milde und sägezahnkurvig lächeln können:

  • Kaffee, Tee, Bier, Zigarettenasche etc. über die Platte und den laufenden Spieler schütten
  • während des Abspielens gegen den Plattenspieler rennen und den Tonarm quer über die Platte fräsen lassen
  • aus dem Regal über dem Spieler ein Buch herausziehen und dabei ein zweites Buch auf den laufenden Tonarm fallen lassen
  • Platten in der prallen Sonne liegen lassen (worauf hin sich die Plastikfolie der Schutzhülle untrennbar mit der Rillenfläche verklebt und die Platten extreme Wellen werfen)
  • Platten versehentlich aus der Hülle rollen lassen, und zusehen, wie diese dann über den Straßenbelag "gleiten"...
  • oder einfach eine Katze zuhause haben, die Bob Marley (70er!!) scratcht:

 Weiteres Anschauungsmaterial: 



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