Freitag, 27. Februar 2015

taz, die tageszeitung - auch ein Kind der 70er

22.9.1978, erste Nullnummer (www.taz.de)
Im September 1978, mitten in der Jugendzentrumszeit, erschien die erste von 10 Nullnummern der taz, bevor am 17.April 1979 schließlich die erste offizielle Ausgabe der tageszeitung veröffentlicht wurde.

Seitdem ist die taz bis heute die einzige Neugründung einer überregionalen Zeitung in Deutschland, die überlebt hat. Und sie transportiert, und sei es nur in homöopatischen Dosen, den Zeitgeist der 70er Jahre noch heute.

17.4.1979, die erste taz (www.taz.de)
Von einer treuen Genossenschaft, deren Mitglieder ihre Wurzeln selbst in den 60er, 70er und 80er-Jahren haben, immer wieder vor dem Untergang gerettet, und vor allem von motivierten Mitarbeitern getragen, die auch heute noch ideelle Werte (wenigstens zeitweise) höher schätzen müssen als monetäre, hat sich die taz einen festen Platz in der Zeitungslandschaft gesichert - steht aber heute wie alle Print-Publikationen vor großen Herausforderungen durch den digitalen Umbruch.

Trotzdem und dank erfolgreichem "Crowd-Funding" mit den Genossen kann sich die taz nun einen Neubau leisten: taz.neubau. Auf das taz-Genossenschaftsmodell, welches letztendlich auf einem starken Markenkern aufbaut und diesen kontinuierlich zementiert und emotional untermauert, dürften andere Printmedien mittlerweile neidvoll aufblicken.

Dagegen muss man sich die Gründungsphase Ende der 70er wohl ganz anders, chaotischer vorstellen und dabei denken an ....

... die ersten Tage, an den Haschischduft aus der Dunkelkammer und die Selbstausbeutung der Laien, die sich als Journalisten versuchten, und dabei „genial dilettantisch“ arbeiteten:

„Es hat funktioniert. Es hat deshalb funktioniert, weil wir keine Journalisten waren, sondern politisch motivierte Amateure. Die “taz” wandelte sich, ganz anders als wir uns das gedacht hatten, von einem radikalen Szeneblatt zum Medium des neuen alternativen Bürgertums – ihr Weg ähnelte dem der Grünen. Die “taz” wurde auch zur erfolgreichsten Journalistenschule der Nation – keine wichtige Redaktion ohne ehemalige “taz”-Redakteure.“
(aus: //journalistiklehrbuch.wordpress.com/)

die Entführung des
Kommune 1 -Tisches
www.squatter.w3brigade.de/
Legendär bleiben die Mythen um den taz-Konferenztisch aus der ehemaligen Kommune K1, an dem in der ersten Decade alle taz-Redaktionskonferenzen stattfanden, bis er im Rahmen einer Besetzung des taz-Gebäudes 1990 entführt und später spurlos verschwunden ist.

taz-Mitgründer Christian Ströbele hat den Tisch noch einmal geschichtshistorisch verortet, bevor er ihn "juristisch" in die Hände der Hausbesetzer übergeben hat - heute unfassbar, wer schon an diesem Tisch gesessen und gegrübelt hat.

Die taz-Frauen bei der
Durchsetzung der Quote, 1980
//blogs.taz.de/
Auch die ZEIT widmete dem Vorfall einen ausführlichen Beitrag und maß dem Tisch quasi-religiösen Status bei: Reliquie entwendet - Trauer bei der "Tageszeitung"

Der Nacktauftritt der Hausbesetzer, die 1990 den Tisch "übernahmen", erinnert wiederum an ein weiteres berühmtes allerdings um 10 Jahre älteres Bild von 1980 mit anderen Nackten am Konferenztisch. Das war, als die Frauenquote in der taz durchgesetzt wurde.

1999 sorgte dann die "Titten-taz", Teil einer "Erpressungskampagne" für mehr Abonnenten, für einige Aufregung und einige verärgerte Abo-Kündigungen. Sie bleibt als eine der spektakulärsten Abo-Kampagnen in der Erinnerung.

Wieviel Schwanz muss sein?
Zu einem weiteren stylistischen Nackt-Highlight der taz führte dann wiederum viele Jahre später die taz-Satire über die angebliche Penis-Verlängerung von Kai Diekmann, Chefredakteur der Bild, welche schließlich 2009 die Penisskulptur, den "Pimmel über Berlin", am taz-Gebäude initiierte.

Andere auch irgendwie auf den Zeitgeist der 70er und 80er zurückgehende Nackedeien im Zusammenhang mit dem Wunsch nach sexueller Befreiung brachten den Grünen und der FDP später den Vorwurf der damaligen Verflechtung mit Pädophilen und der taz den Vorwurf der Verharmlosung ein - schwere, nicht vollständig ausräumbare, und z.T. auch berechtigte Vorwürfe, die eine schmerzhafte und schamvolle Aufarbeitung erforderten.

Die wenigen nackten, aber vor allem die vielen politischen und journalistischen Kontroversen und Leistungen prägen das Bild einer Zeitung, die bis heute ihren Platz sucht, aber zum Glück nie gefunden hat. Für die einen ist sie linke, sozialistische oder kommunistische Kampfpresse, für die anderen ist sie nur ein Sprachrohr des saturierten, überduchschnittlich verdienenden, selbstgerechten Bürgertums der Gutmenschen. Ein journalistisches Produkt, welches so schwer einzuordnen ist, muss wohl vieles richtig gemacht haben.

In den von mir mitbewohnten WGs der 80er war ein taz-Abo Pflicht - für mich ist es das bis heute geblieben.

>>> die schönsten taz-Titel seit 1978
>>> taz blogs: 1980, erste Frauenquote der Bundesrepublik
>>> squatter: der Tisch und die HausbesetzerInnenbewegung in Ost-Berlin
>>> taz 3.9.1990: Christian Ströbeles Offener Brief an die Entwender des "Tisches"
>>> Wikipedia: Der Pimmel über Berlin, Friede sei mit Dir
>>> taz 17.11.2009 "Wieviel Schwanz muss sein?"

>>> die taz online
>>> die taz-Genossenschaft
>>> Wikipedia: Die Tageszeitung

Nachtrag:
Mit Datum 3.3.2015 schreibt mir die Lizenzabteilung der taz in Antwort auf meine Anfrage nach dem Nutzungsrecht der Bilder in diesem Beitrag die folgenden netten Zeilen:

Lieber Christian, vielen Dank für deine Nachricht und das damit verbundene Interesse an redaktionellen Inhalten der taz! Da die gemopsten Bilder so vorbildlich beschriftet und verlinkt sind und es auf der Seite noch diverse Verweise auf www.taz.de gibt, haben wir keinerlei Einwände, was die dargestellte Nutzung betrifft.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.